Mit Bildern an das tote Kind erinnern
Film: Im Winter ein Jahr
Vor einigen Tagen sah ich den Film "Im Winter Jahr" (Regie: Caroline Link, 2008). Ich finde es ist ein sehr schöner Film, der den Trauerweg einer Familie nachzeichnet. Eine Mutter gibt fast ein Jahr nachdem ihr 18- jähriger Sohn den Freitod gewählt hat, bei einem Künstler ein Porträt ihrer beiden Kinder in Auftrag: ihrer lebende Tochter und deren verstorbenen Bruders. Über die Arbeit mit dem Künstler an dem Bild öffnen sich für die grosse Schwester neue Wege auf dem Trauerweg, die Trauer kommt bei ihr und auch den Eltern wieder oder überhaupt erst ins Fliessen. Die Frage "Wo steht der verstorbene Bruder?" und "Wie sind die beiden Geschwister zueinander positioniert?" sind für den Maler wichtig bei der Fertigstellung des Bildes, aber auch für die Trauer der Familie. Am Ende steht ein Bild, anders als in Auftrag gegeben und die neuen Perspektiven für alle Familienmitglieder, die sich durch die ins fliessen gekommene Trauer zeigen.
In diesem Film geht es nicht um den sehr frühen Tod eines Kindes. Und doch sprach mich das Thema sehr an, das Bedürfnis der Mutter in dem Film, dem verstorbenen Kind, zusammen mit der Schwester einen sichtbaren Raum im Alltag zu geben, durch ein würdiges, schönes Porträt. Ihrer Trauer so Ausdruck zu verleihen. Zwar nicht durch das Selbstmalen oder selbstgestalten, aber dennoch individuell, durch die Wahl des Künstlers, ihre Ideen zur Gestaltung des Bildes. Am Klavier solle es sein, denn da machten doch die Kinder immer zusammen Musik.
Unser Album
Seit dem Verlust meines Sohnes spielt das Finden von Formen des Gedenkens eine wichtige Rolle in meinem Leben. Im Alltag, mal mehr, mal weniger sichtbar, sind es oft Symbole die dieses Gedenken für mich ausdrücken. Aber auch Bilder, Fotografien von meinem Kind, oder Zeichnungen (mehr symbolischer als abbildender Natur), die ich von ihm bekommen habe, sind immer wieder wichtig. Haben ihren festen Platz in unserer Wohnung.
Wir haben nie " da draussen in der Welt" zusammen gelebt, einfach nur die Schwangerschaft gemeinsam erlebt. Ich habe keine Erinnerungen an sein Lachen, sein Weinen, süsse Gesichtchen wie sie Babies manchmal machen, seine Stimme. Er kam ja tot auf die Welt. Still. Die einzigen Bilder die meinen Sohn lebend zeigen sind die Ultraschallbilder. Diese füllen zusammen mit den Bildern und Anekdoten aus der Schwangerschaft und den einzigen Bildern, die wir von unserem toten Kind haben, einige noch im Krankenhaus erstellt, einige im Sarg vor der Bestattung, ein Album. Sein Album. An wichtigen Tagen, Gedenktagen, schauen wir es nochmal an, lesen darin. Oder zeigen es, wenn Mitmenschen nachfragen. Auch in den Tagen vor der Beerdigung lag es für die Familie aus, damals noch als Schwangerschaftsalbum, und diente so als Gesprächsanlass, Anlass zu fragen, gab Bilder, für Verwandte die zum Teil noch nicht einmal den schwangeren Bauch erlebt hatten und für die dieser plötzliche Tod dadurch um so unwirklicher war. Inzwischen ist es ganz schön abgegriffen, hat auch schon einige Reisen mitgemacht. Und es ist nach wie vor wichtig. Jede Familie findet ihren Ausdruck für das Erinnern. Oft sind es auch Kästchen, in welchen neben Fotografien auch besondere Kleidungsstücke oder Spielzeuge, oder sonstige für die Familie wichtige Gegenstände von symbolischem Wert enthalten sind.
Erinnerungen schaffen- Zeichnungen und Fotografie
Die Möglichkeit, das verstorbene Kind zu fotografieren um so letzte, ganz konkrete, Erinnerungen zu schaffen, ist für viele Eltern sehr wichtig. Fotografien
oder Zeichnungen vom Kind die z.B. noch in der Geburtsklinik angefertigt werden, von ihnen selbst, oder einem Professionellen, werden später oft
in Gedenkecken aufgestellt. Mit einer Mischung aus Stolz um das für
die Eltern immer wunderhübsche eigene Neugeborene und Trauer wegen
der immer unausweichlicher werdenden Klarheit, dass jede Handlung,
jedes Foto, jedes Streicheln eine letzte Handlung ist, schaffen sich
Eltern und Familienangehörige Erinnerungsstücke- das einzige was
ihnen greifbar und sichtbar von ihrem Kind bleiben wird.
Fotografien scheinen hier eine besondere Bedeutung zu haben. In den
meisten Krankenhäusern machen Hebammen Fotos von den Kindern, wenn
die Eltern diese zunächst nicht sehen wollen oder auch einfach so
als Erinnerung, sowie Hand- und Fussabdrücke, seltener auch
Ohrabdrücke. Manchmal wird auch eine Haarlocke abgeschnitten und dem
Erinnerungsalbum, das Eltern erhalten wenn es eine sensibilisierte
Klinik ist. Wichtig
ist das kompetente und achtsame Handeln des Klinikpersonals, denn die
Erinnerungen haben einen hohen Wert für die Eltern. Sie sind nicht
nachträglich zu schaffen. Es gibt nur diese eine Möglichkeit. Fotos
können Eltern zu Einen ermuntern das Kind doch anzusehen und bei
sich zu haben, oder später, nach der Bestattung die einzige
Möglichkeit sein sich ein Bild von dem Kind zu machen. Und gute
Aufnahmen sind wichtig, aus mehreren Perspektiven und in einem
schönen Setting. Ein einzelnes mit der Zeit verblassendes
Polaroidfoto sei nicht wirklich hilfreich, viele Eltern sähen ihr
Kind darin nicht, betonen Maureen Grimm und Anja Sommer in ihrem Buch "Still geboren" und
verweisen auf die Möglichkeit der Eltern selbst Fotografien oder
Zeichnungen anzufertigen- aus ihrem Blickwinkel. Sie stellen dabei die Frage ob das behutsame und bewusste Erstellen von Fotografien oder Zeichnen des toten Kindes durch die Eltern nicht sogar ein Ritual darstellen könnte auf dem Weg der Verabschiedung. Auch die Initiative einiger Krankenhäuser wird in demselben Buch erwähnt: den Eltern nach dem Verlust einen Zeichner oder eine Zeichnerin zur Seite zur stellen, die dann in Zusammenarbeit mit den Eltern individuelle behutsame Zeichnungen von dem Kind erstellen. Der Vorteil der Zeichnung ist die Möglichkeit individuelle Besonderheiten, die den Eltern wichtig sind, hervorheben zu können. Fehlbildungen oder etwa farbliche Veränderungen des Kindes können in der Zeichnung ganz vernachlässigt werden ohne dass das Bild retuschiert, "beschnitten" wirkt. Nach der Bestattung bietet die Zeichnung die Möglichkeit nachträglich ein Familienporträt zu schaffen. Wurde dies mit dem Kind vor der Bestattung versäumt, ist es manchmal eine sehr schmerzhafte Lücke. Ich weiss von mehreren Zeichnerinnen die diese Aufgabe, das tote Kind zeichnen und/oder ein Familienporträt oder eine symbolische Zeichnung erstellen, übernehmen. Oftmals, weil sie selbst einen biographischen Bezug zum Thema Stille Geburt haben.
Die Künstlerin Anja Sommer hat sich intensiv mit der Post-Mortem-Fotografie beschäftigt und auch eine Ausstellung zu dem Thema an der Charité ausgerichtet. Ihre Arbeit fliesst in das Buch "Still geboren" ein. Einige Zeichnungen aus ihrem Zyklus "Neonatologie" , zart gezeichnete Bilder von Frühgeborenen und verstorbenen Kinder, bilden den Mittelteil des, wie ich hier betonen möchte, wirklich sehr lesens- und hinschauenswerten Buches.
Die Initiative
„Klinikaktion der Schmetterlingskinder“ bietet auf ihrer Homepage
einen Qualitätskatalog für gute Bilder von Sternenkindern an, für
Eltern und Professionelle.
Manchmal sind es neben den Hebammen auch Bestatter/Innen, die Fotografien von dem verstorbenen Kind erstellen, wenn die Eltern dies wünschen. Das Vertrauensverhältnis nach einem vorherigen Kennenlernen und eine gewisse Sensibilität der Fotografierenden sind dabei sehr hilfreich.
An dieser Stelle begleitet auch die NGO Now I lay me down to sleep Eltern, die einen Verlust erleben. 2005 von einer verwaisten Mutter und einer Fotografin in den USA gegründet, schult und ermutigt "Now I lay me down to sleep" professionell Fotoschaffende diesen schweren Moment im menschlichen Dasein zu begleiten und zu porträtieren, so dies der Wunsch der Eltern ist. Seit der Gründung waren/sind 11.000 Freiwillige Teil der NGO.
Now I lay me down to sleep
An dieser Stelle begleitet auch die NGO Now I lay me down to sleep Eltern, die einen Verlust erleben. 2005 von einer verwaisten Mutter und einer Fotografin in den USA gegründet, schult und ermutigt "Now I lay me down to sleep" professionell Fotoschaffende diesen schweren Moment im menschlichen Dasein zu begleiten und zu porträtieren, so dies der Wunsch der Eltern ist. Seit der Gründung waren/sind 11.000 Freiwillige Teil der NGO.
Quelle: Facebookseite von Now I lay me down to sleep. https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10151964151093701&set=a.10150674505953701.418243.143557283700&type=1&theater |
Das Motto- "Durch das Erinnern, kann eine Familie wirklich beginnen zu heilen" ("It is through remembrance that a family truly can begin to heal")- ist die Motivation der Organisation. Auch Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der hinterbliebenen Familien von Sternenkindern gehört zu den Zielen von Now I lay me down to sleep.
https://www.nowilaymedowntosleep.org/
http://www.youtube.com/user/nilmdtsheadquarters
https://www.facebook.com/nilmdts
Fotoschaffende aus aller Welt (derzeit in 40 Ländern) stellen sich unentgeltlich zur Verfügung, um Eltern bei dem Verlust eines Babies zu unterstützen, indem sie professionelle Fotografien von dem verstorbenen Baby oder einem Baby, welches sich in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand befindet, bevor es verstirbt. Auch schön gemachte Familienfotos sind für viele Familien wichtig. Die Fotografen machen dezent die Bilder, die Eltern und Geschwister können sich ganz auf das Kind konzentrieren , werden durch den Blick durch die Kamera nicht abgelenkt oder in die Rolle des Beobachters versetzt, was zusätzliche Distanz schaffen könnte. Die Fotos werden behutsam, liebevoll und so gemacht, dass sie ohne Schrecken und Graus angesehen werden können, als bleibendes und wichtiges Erinnerungsstück. Das ist etwas ganz anderes als ein kaum belichtetes Polaroidbild von einem nackten Sternenkind auf einem OP- Tisch. Manchmal sind es auch eher symbolische Fotografien, die erst einige Zeit, manchmal erst Jahre später, nach dem Verlust gemacht werden. Dahinter steht der Wunsch der Familie dieses Kind, Teil der Familie, sichtbar zu machen. Ein Familienporträt zu haben. Manchmal gibt es garkeine Fotos von dem Kind oder die Eltern haben sich das Kind noch unter Schock stehend nicht angesehen. Als Eltern sichtbar zu werden, mit einem hier auf dieser Welt zwar für die anderen nicht sichtbaren, aber für sie immer präsenten Kind ist ein Wunsch dieser Eltern.
Durch Bilder das Schweigen brechen
https://www.facebook.com/reportajeStillbirth
Auf dem Foto zu sehen sind Noe und Miguel, die ich aus der Elterntrauergruppe in Barcelona kenne, sowie Cora´s kleiner Bruder Adai. |
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