Meine Erfahrung als Mama eines Sternenkindes


Frédérick Lleonards Geschichte


Einen Sinn finden wenn alles sinnlos scheint

Sehr tröstlich wurde mir nach dem Tod meines Kindes der Gedanke, dass ich durch meine gemachten Erfahrungen, dem Reden darüber, vielleicht anderen betroffenen Familien zur Seite stehen kann, ja vielleicht auch zu einem bewussteren Umgang mit Sternenkindern in Spanien, oder Barcelona- oder wenigstens dem Krankenhaus in welchem er geboren wurde- beitragen kann. So sehe ich die Arbeit von „Projekt Löwenherzchen“, die längst noch nicht abgeschlossen ist, als sein kleines wertvolles „Erbe“ an. Für das ich in seinem Namen eintreten möchte. Das Reden über seine Geschichte gehört sicher dazu- fast drei Jahre nach seiner Geburt tue ich dies auf dieser Plattform zum ersten Mal öffentlich.
Es sind Erfahrungen gemacht in einem anderen Land, es ist nur unsere individuelle Geschichte. Ich weiss, dass der Umgang mit Sternenkindern z.B. In Deutschland und vielerorts bereits oftmals sehr bewusst ist, und doch denke ich kann unsere Geschichte, gerade durch den krassen Kontrast helfen zu verstehen, warum sensibilisierte Begleiterinnen und Begleiter (Hebammen, Doulas, Ärzte, Bestatterinnen) so wichtig sind.

Unsere Geschichte

Am 24. Dezember 2010 kam mein Sohn Frédérick Lleonard tot auf die Welt. Wir lebten damals in Barcelona, und ich verlebte eine sorgenlose Schwangerschaft. Ich befasste mich intensiv mit den Thema natürliche Geburt und ging sehr darin auf. Die Aussicht das Kind natürlich auf die Welt zu bringen war eher gering- eine Hausgeburt für 2000€ (Anm: in Spanien müssen Hausgeburten immer zu 100% aus eigener Tasche gezahlt werden) konnten wir uns damals nicht leisten und die Krankenhäuser in Spanien sind berüchtigt für ihre medikalisierten Eingriffe, die nicht selten eine natürliche Geburt in einen Notkaiserschnitt verwandeln- und doch blieb bis zuletzt die Vorfreude auf eine gute und schöne Geburt eines wunderbaren Kindes. Mit der Unterstützung meiner Yogalehrerin und Doula fühlte ich mich sehr gut begleitet, ob der anstehenden Krankenhausgeburt, für die wir uns in letzter Minute, weil es doch „sicherer“ war, so dachten wir, entschieden hatten.

Der Tod wenn du das Leben erwartest

Völlig unerwartet sah mich konfrontiert mit dem Tod, als ich bei der letzten Routineuntersuchung erfuhr, das mein Kind in der 40. Schwangerschaftswoche unmerklich gestorben war. In einer unauffälligen, gesunden Schwangerschaft. Wir wiegten uns in solcher Sicherheit. Und dann war er tot, einfach so. Es war Ein absoluter Schock. Noch wenige Tage zuvor hatte ich das Kapitel über Schwangerschaften mit traurigem Ausgang in einem Schwangerschaftsratgeber schnell überblättert. Ich fand es damals gut, dass auch darüber berichtet wurde. Auch wenn mich das ja wohl nie betreffen würde. Genauso ging es mir bei dem Lied „der Tod wenn du das Leben erwartest“ der Sängerin Rosa Zaragoza aus Barcelona. Hochschwanger lernte ich ihre Musik kennen. Auf ihrer CD „Nacer- Renacer“ singt sie über Ermutigung zur natürlichen Geburt, Kinderlieder aus aller Welt und Schlaflieder- und über Totgeburt und Schwangerschafsabbruch. In dem dazugehörigen Büchlein kommen Mütter und Väter zu Wort mit ihren jeweiligen Erfahrungen, der freudvollen natürlichen Geburt zu Hause, aber auch mit der Erfahrung des Verlustes. Ich dachte damals, dass ist ja sehr integrierend, ja innovativ wie sie mit den Themen Geburt und Sterben umgeht und hörte mir alle Lieder immer wieder gerne an- zu diesem Soundtrack zu meiner ersten Schwangerschaft tanzte und sang ich unzählige male mein Kind im Bauch wiegend- ausser die wirklich sehr traurigen Liedern zum Thema Verlust. Ich dachte positiv und freute mich auf eine natürliche Geburt, alles sollte seinen Weg gehen. Wie viel mir ihr Lied „ Der Tod wenn du das Leben erwartest“ auf meinem späteren Trauerweg bedeuten würde konnte ich damals noch nicht ahnen.

Durch den plötzlichen Tod meines Kindes waren es von einem Moment auf den anderen nun nicht mehr Fragen zum Stillen oder Stoffwindeln die mich beschäftigten, sondern die Bestattungs- und Grabkultur in Spanien. Mir waren „Sternenkinder“ aus meinem Leben in Deutschland zumindest diffus ein Begriff, das Thema Sterben/Tod war mir aufgrund meines Interesses an der Hospizbewegung nicht ganz fremd. Mit der Ahnung um die Wichtigkeit von Abschiedsriten und vielleicht auch durch ein untrügliches intuitives Empfinden war mir relativ schnell klar, dass das Vorgehen von Seiten des Krankenhauses und des Bestattungsunternehmens (einem der beiden Grossunternehmen die sämliche Bestattungen für die Metropole Barcelona ausrichten), das durch ein Büro im Krankenhaus für uns „zuständig“ war, wenig hilfreich waren. Es gab kein Protokoll, das einen sensiblen Umgang beim Tod von Babys vorsah. Niemanden der dafür ausgebildet oder wenigstens ein Herz zu haben schien. Ausser dreier Hebammen, die wenigstens menschlich da waren für uns. Aurora- die den fehlenden Herzschlag festgestellt hatte und einfach meine Hand festhielt, abends auch nach Dienstschluss wartete bis wir im Kreissaal ankamen um uns noch einmal zu umarmen; Nicole, die bei der Geburt dabei war, sanft und wortlos meine Hand hielt und merkte, wann wir einfach allein sein wollten; und eine ältere dienstleitende Hebamme, die mich einige Stunden nach der Geburt ermutigte mein Kind zu wickeln, zu kleiden und wenigstens ein kleines Erinnerungsstück schaffte- das Kliniksarmband, das wir eigentlich nicht gebraucht hätten. Es gab ja kein lebendes Baby, das ich mit auf die Wöchnerinnenstation hätte nehmen können.

Die Ärztin, die den Tod unseres Kindes dann auch per Ultraschall festgestellt hatte, schickte uns wenige Minuten nach der Nachricht sehr harsch und alternativlos direkt in den Kreissaal- was für ein Glück, denke ich heute,.dass wir das aus einem ein Bauchgefühl heraus nicht getan haben! Wir gingen stattdessen auf eigene Verantwortung nach Hause und holten uns Unterstützung. Mein Partner und ich, jeder auf seine Weise. So dass wir uns am Abend fähig sahen begleitet von der grossen Familie meines Partners, und meiner Doula, sowie dem mitfühlenden und beratenden Beisein (gedanklich und telefonisch) sechs weiterer „weiser“ Frauen die meinen Rücken stärkten. zur Einleitung in das Krankenhaus zu gehen.

Stille Geburt

Dort verbrachten wir eine letzte Nacht mit dem Kleinen noch immer im Bauch- das starke Mittel zu Einleitung (wie es nur bei Totgeburten verabreicht wird, erfuhr ich später) schlug nicht gleich an. Prognostiziert waren vom diensthabenden geburtshelfenden Arzt lange, vielleicht mehrere Tage dauernde Wehen, sehr schmerzhaft durch die Einleitung mit Wehenmitteln und der dringende Hinweis doch eine Periduralanästhesie zur Hilfe zur ziehen. Es müsse ja nicht sein, in so einem Fall, auch noch Schmerzen zu spüren. Wie fehl er lag! Die seelischen Schmerzen waren doch sowieso da- gut, dass sie ein Ventil hatten und ich mein Kind unbenebelt und wach in die Arme schliessen konnte, als es geboren wurde!  Am Morgen kam mein Sohn nach 2 Stunden Wehen natürlich, also ohne Anästhesie und Interventionen, auf die Welt. Wenn man das überhaupt so sagen kann, es war eine gute Geburt, weil ich sie spüren konnte, mein Kind selbst auf die Welt bringen konnte. Um 8 Uhr kam er auf die Welt, am Heiligabend. Dann hielten wir ihn für fünf Stunden in den Armen. Diese waren friedvoll und beseelt. Abschiednehmen, ihn tragen, ihn riechen, kleiden, streicheln, küssen. Loslassen. Verstehen, dass er wirklich nicht in die Welt der Lebenden gehörte, dass er wirklich nicht lebte. Und ihn in die Hände der Pathologie des Krankenhaus geben.Das war unsere Zeit, so kurz und wertvoll. Es waren friedliche, schöne Stunden, trotz allem. Die Erinnerungen daran müssen ein ganzes Leben halten.

Noch am selben Abend sahen uns mit einem schmierigen Sachbearbeiter des Bestattungsunternehmens konfrontiert, der uns sichtlich genervt von seiner Schicht am Heiligabend und unseren individuellen Wünschen, abfertigte, bevor ich, auf eigene Verantwortung, 10 Stunden nach der Geburt das Krankenhaus verliess. Auch auf der Station, wo ich neben einer schnaufenden Oma lag, wurden wir nicht aufgefangen. Für die da erfolgte Einahme der Pille die ein sofortiges Abstillen über das Gehirn erwirkte, hätte es Alternativen gegeben. Aber das erfuhr ich leider erst zwei Tage später. Ich hätte die Muttermilch der Muttermilchbank die es in Barcelona gibt spenden können, sanft selbst abstillen können. Selber Abschied nehmen von dieser Milch auf die ich mich für meinen Sohn so gefreut hatte.

Abschiednehmen

Unser neues Leben als Eltern ohne Kind im Arm begann. Verwaiste Eltern, die ruhelose Nächte haben, nicht wegen einem weinenden nach Muttermilch verlangenden Babies, sondern wegen dieser unerträglichen Leere und Stille. Nach einigen Tagen wie in Trance, in die wir zwischen Sofa und Trauerhalle verbrachten, wo unser Kind leider viel zu steril in einem Glaskasten aufgebahrt war (Anm: so üblich in Spanien) fand am 27.12.10 die Beerdigung statt, die wir selbst organisierten, gegen alle Widerstände des Bestattungssachbearbeiters (Anm; die Figur des Bestatters gibt es meines Wissens in Spanien garnicht) mit eigener Musik, eigenen Texten, eigenen Blumen, eigenen Erinnerungskarten. In einem Ritual nahmen alle anwesenden Trauergäste Abschied mit uns von Frédérick Lleonard indem sie eine kleine Kerze anzündeten und auf seinen Sarg stellten. Der anwesende Diakon der optional hätte sprechen können (und der uns erzählte, dass er vor 40 Jahren selbst auch ein Kind verloren hatte), die Familie und Freunde die gekommen waren, sogar alle Anwesenden des Friedhofpersonals waren sichtlich gerührt von unserer Abschiedszeremonie. Weil sie so persönlich und gefühlvoll war. Auch Rosa kam am Tag zuvor in die Trauerhalle und sang mit mir ihr Lied über Totgeburten „la muerte cuando esperas la vida“ (Der Tod wenn du das Leben erwartest). Aber auf meinen Wunsch auch mein Lieblingslied von ihr „la Rumba de las madres“, die „Rumba der Mütter“, zu welchem ich die ganze Schwangerschaft über glücklich meine „Achten“ zur Geburtsvorbereitung getanzt hatte- das waren die glücklichsten Momente mit meinem Kind.

Hier mein Gedicht mit welchem ich Freunde und Familie von Frédéricks Tod benachrichtigte und zur Trauerfeier einlud:

Du kamst auf die Welt, in aller Stille.
Deine Äuglein sahen nicht das Licht der Welt.
Du hattest Dich schon auf den Weg gemacht zu den Sternen.
Die am Himmel leuchten und die Weihnacht ankündigten."

Es war sehr heilsam so voller Liebe und auf unsere Art Abschied zu nehmen.

Woher wir dafür damals die Kraft nahmen, das so und so kurz nach der Geburt unseres toten Kindes zu organisieren, kann ich mir heute nicht rational erklären.

Das Grab

Nach wie vor schmerzhaft bleibt die Erinnerung an seine Beisetzung in einer „Nische“, einem Fach, „im 5. Stock“ in etwa 5 Meter Höhe in einem Zementhäuschen, wie sie üblich sind in Spanien und generell im Mittelmeerraum. Die Bauarbeiter die in Blaumann den Sarg in das Zementfach einschoben fuhren die Hebebühne pfeifend hoch. Mit Spachtel der so unpassend kratzte während wir, die Trauergemeinschaft unten standen und den Kopf im Nacken zuschauten, wurde die Zementplatte versiegelt. Darin der kleine weisse Sarg und Blumen. So verloren in diesem Zementgrab. Nach dem es zu war kletterte mein Partner die wackelige Leiter, die einzige Brücke zu diesem Grab, hoch um mit einem Filzstift, an den wir zum Glück noch gedacht hatten, wenigstens den Namen seines Sohnes und das Geburtsdatum auf die Platte zu schreiben. Für mich als frisch Entbundene war es unmöglich hochzuklettern. Es gibt wohl keinen unwirklicheren Ort den man sich kurz nach der Geburt vorstellen kann. In klirrender Kälte auf einem Friedhof. Bis heute kann ich mich eigentlich nicht mit diesem Grab abfinden. Für mein Empfinden so unwürdig und doch ganz normal in dieser anderen, mediterranen, Kultur. Die Gräber sind mit Marmorplatten verschlossen und Glastüren zugeschlossen. Oft stehen Fotografien der Verstorbenen, künstliche Blumen, Erinnerungsstücke oder ähnliches mit in diesen Glaskästen. Die Fotografien finde ich eigentlich schön. Mir fehlt bis heute trotzdem die Erde. Nass an kalten Tagen im November, mit Schnee bedeckt im Winter, mit spriessenden Pflänzchen im Frühling und warm im Sommer. Die Erde und ein Grab zum Anfassen. Begreifbar, nah und nicht so weit weg und kühl. Nur über eine 5 m hohe wackelige Leiter erreichbar. Wirklich besucht sind diese „cementerios“ nicht. Sehr selten habe ich überhaupt andere Menschen die dort jemanden „besuchen“ gesehen, wenn es nicht gerade eine Trauergruppe war die ein frisches Grab verliess.

Eigene Formen finden

Entgegen der Normen der Friedhofsverwaltung haben wir einige Monate nach Frédérick Lleonards Geburt eine selbstgestaltete Grabplatte angebracht. Mit dem Motiv des „kleinen Prinzen“. Bis heute würde ich mir einen Ort wünschen, zu den ich gehen kann, gedenken kann, vielleicht sogar andere Eltern von Sternenkindern treffen kann. Sternengärten oder Schmetterlingsgräber wie es sie vielerorts gibt, in Spanien z.B. jedoch bisher nicht, sind für viele Familien wichtige Orte der Trauer.

Ich könnte seitenweise berichten über die Geschehnisse, die ich für jede betroffene Familie als unzumutbar empfinde. Sinnvoller ist vielleicht das Erwähnen für mich wichtiger Elemente eines hilfreichen Umgangs mit einer stillen Geburt die ich im nachhinein für mich herausgearbeitet habe:

  1. Zeit über den Moment der Geburt zu bestimmen („abwartende Haltung“) und die Möglichkeit einer möglichst selbstbestimmten Geburt
  2. Zeit nach der Geburt das Kind intensiv zu begrüssen
  3. Zeit für die Verabschiedung bei der Bestattung
  4. Ein würdiger Ruheort für das Sternenkind, ein würdiger Gedenkort für die trauernde Familie

Diese Bedürfnisse verwaister Eltern waren die Grundlage für erste Gespräche mit der Friedhofsverwaltung und unserem Krankenhaus in Barcelona und anderen Orten in Spanien, die ich in den letzten Jahren mal mehr mal weniger sporadisch führen konnte.

Mein Trauerweg führt mich in den Monaten nach der Geburt meines ersten Kindes und auch jetzt noch, gut drei Jahre danach, an Ort die Sternenkindern und ihren Angehörigen gewidmet sind um zu lernen wie es anders aussehen kann, zu erfahren wie es hier z.B. In Deutschland zu diesem Bewusstseinswandel kam. Mehr über meine Erkenntnisse und die an vielen Orten gesammelten Informationen hier im Rahmen dieser Plattform.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen